In Kapitel 1 wurden die Hauptprobleme dargestellt, die mit der zunehmenden Verbreitung von IPv4 auftraten. Neben einigen weiteren Problemen wie z.B. der Leistungsfähigkeit, über die heutige Router verfügen müssen, führten diese Probleme zur Neudefinition des Internet-Protokolls unter der Versionsnummer 6.
Die Entscheidungen, welche Möglichkeiten IPv6 vorsehen soll, wurden seit dem Jahr 1993 in den entsprechenden Arbeitsgruppen diskutiert. Diese Zeit wurde auch genutzt, um Altlasten aus der Protokolldefinition zu entfernen und um neue, nützliche Möglichkeiten vorzusehen, die auch Raum für Erweiterungen lassen, wie etwa die Flußsteuerung.
Großes Augenmerk wurde auf Funktionalitäten wie automatische Konfiguration, mobile Benutzer, Echtzeitdaten und Sicherheit gelegt. In diesen Bereichen beinhaltet IPv6 von vornherein Mechanismen, die zwar größtenteils auch unter IPv4 vorhanden sind, die aber dort mühsam nachträglich eingeführt wurden oder - in großem Umfang - erst noch eingeführt werden. Durch diese Möglichkeiten wird die Komplexität von IPv4 erhöht; ein klares, von vornherein zielgerichtetes Design wie der Entwurf von IPv6 scheint der effizientere Weg, Neuerungen zu integrieren.
Den Entwicklern von IPv6 war bewußt, daß ein eventueller Umstieg nur stattfinden wird, wenn einfache Transitionsmöglichkeiten vorhanden sind und der Parallelbetrieb von beiden Versionen möglich ist. Auch muß die Programmierung von Anwendungen für IPv6 einfach möglich sein, was durch eine Neudefinition der Socket-Programmierschnittstelle erreicht wurde.
IPv6 bietet Lösungen für heute bekannte Probleme. Es bietet außerdem die Freiheiten, mit Lösungsmöglichkeiten zu experimentieren sowie auf zukünftige Probleme zu reagieren. Protokolle sind nicht statisch, sondern im Wandel begriffen, da sich Anforderungen unvorhersehbar ändern können. Abgesehen von der - von einigen als zu kurzsichtig empfundenen [2] - Festlegung auf 128 Bit lange Adressen scheinen genug Erweiterungsmöglichkeiten für die absehbare Zukunft vorhanden zu sein.
IPv6 wird sich allerdings nicht von selbst verbreiten, wenn die Anwender keine Vorteile aus seiner Verwendung ziehen können. Direkte Vorteile sind für normale Anwender momentan nicht ohne weiteres erkennbar, so daß Aufklärungsarbeit notwendig ist.
Zu den wichtigsten Argumenten, die aus Sicht der Endanwender für die Verwendung von IPv6 sprechen, gehören neben der Autokonfiguration auch Mobilität und Sicherheit. Vor allem die Autokonfiguration ist mit den heutigen, unter IPv4 vorhandenen Mitteln nicht in dieser Form realisierbar.
Durch die neuen, automatischen Konfigurationsmöglichkeiten ist es möglich, einfache Netzwerke von wenig ausgebildeten Personen installieren und betreiben zu lassen.
Für Netzwerkbetreiber wie Internet-Service-Provider und Entwickler im Netzwerkbereich sind außerdem die technischen Argumente wie Vereinfachung, Vereinheitlichung, elegante Unterstützung mehrerer IP-Adressen pro Netzwerkschnittstelle und einfache Transitionsmöglichkeiten Gründe, IPv6 einzusetzen. Die umständlichere Konfiguration z.B. des DNS ist einer der Nachteile von IPv6, der allerdings nach einer kurzen Umgewöhnungszeit größere Flexibilität bietet.
Am Anfang des Jahres 1999 wurden bereits erste Netzwerke geplant, die ausschließlich IPv6 verwenden. Die weitere Entwicklung ist unter anderem auf den WWW-Seiten von 6ren, einer Initiative zum Betrieb von IPv6-basierten Weitverkehrsnetzen, im Internet unter 6ren.net zu verfolgen. Auch beginnen Internet-Registraturen wie das RIPE im Jahr 1999 damit, IPv6-Adreßraum zu verwalten. Die meisten großen und auch einige kleinere Internet-Service-Provider führen momentan IPv6-Projekte durch oder beteiligen sich an verschiedenen Arbeitsgruppen.
IPv6 ist nicht nur in der Lage, aktuelle Probleme zu lösen, sondern bietet auch Konzepte, die für kommende Internet-Dienste wie Audio- und Videoübertragungen mit besonderen Ansprüchen an die Dienstqualität geeignet sind.
Aufgrund der Vorteile und der begonnenen Projekte zum Thema IPv6 ist damit zu rechnen, daß IPv4 langfristig von IPv6 abgelöst wird.